Prof. Sachse erhält die Förderung gemeinsam mit Forschungspartnern aus Deutschland und der Schweiz, um ein kryo-elektronenmikroskopisches Verfahren zu entwickeln, das eine noch genauere Untersuchung der 3D-Struktur von Molekülen in Gewebeproben und biologischen Zellen ermöglichen soll.
Die Kryo-Elektronenmikroskopie, kurz Kryo-EM, revolutionierte die Lebenswissenschaften in den letzten Jahren. Sie ermöglicht es, die dreidimensionale Struktur von Proteinen in ihrem natürlichen Zustand direkt zu bestimmen. Dennoch sind für viele Moleküle, insbesondere solche, die bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson eine Rolle spielen, die Auflösung und der Kontrast der etablierten Abbildungsverfahren noch unzureichend.
Im Projekt 4D-BioSTEM, das nun vom ERC mit insgesamt 7,5 Millionen Euro gefördert wird, möchten die Professoren Carsten Sachse, Knut Müller-Caspary (LMU München) und Henning Stahlberg (École Polytechnique Fédérale de Lausanne und Universität Lausanne / Schweiz) die Technologie gemeinsam auf das nächste Level heben. Möglich werden soll dies mit der sogenannten 4D-Rasterelektronenmikroskopie.
Bei der herkömmlichen Kryo-Elektronenmikroskopie werden viele Tausende Schnappschüsse einer Probe mithilfe der sogenannten Transmissionselektronenmikroskopie aus unterschiedlichsten Blickrichtungen aufgenommen und anschließend zu einem detaillierten dreidimensionalen Bild verrechnet.
Dagegen tastet die 4D-Rasterelektronenmikroskopie Objekte in winzigen Schritten zeilenweise ab. Für jeden einzelnen Bildpunkt wird dabei zusätzlich ein sogenanntes Beugungsbild erfasst. Im Ergebnis entstehen so Tausende bis Millionen überlappender Beugungsbilder, die dann in ein interpretierbares Bild zurückgerechnet werden. Die Methode wird bislang vorrangig in der Materialforschung eingesetzt und ermöglicht einen hohen Detailgrad.
Um gefrorene biologische Proben zu untersuchen, setzt das interdisziplinäre 4D-BioSTEM-Team, das Expertisen in der biologischen und physikalischen Elektronenmikroskopie vereint, auf spezialisierte Hardware und Simulationen. Es entwickelt Mikroskop-Betriebsroutinen und Bildrekonstruktionsalgorithmen für eine optimale Auflösung der Aufnahmen.
Doch stellen biologische Proben besondere Herausforderungen: Sie reagieren typischerweise äußerst empfindlich auf die Elektronenstrahlen des Mikroskops. Um die Strukturen nicht zu schädigen, kann nur mit begrenzten Dosen gearbeitet werden, die Bilder sind entsprechend verrauscht. Im Projekt 4D-BioSTEM sollen deshalb unter anderem spezielle Techniken zur Berechnung von Biomolekülen entwickelt werden, mit denen das maximale Signal aus den verrauschten Daten gewonnen werden kann. So besteht die Hoffnung, auf diese Weise Proteine in Hirnproben künftig noch sehr viel genauer und – anders als bisher – direkt in gefrorenen Gewebeproben untersuchen zu können.
„Bei einer solchen bahnbrechenden Neuerung sind viele große und kleine technische Fragen zu klären, die sich interdisziplinär im Rahmen des ERC Synergy Grants deutlich schneller lösen lassen, als es getrennt in den Fachcommunitys möglich wäre“, freut sich Prof. Sachse, der Direktor am Ernst-Ruska-Centrum am Forschungszentrum Jülich ist und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf forscht und lehrt.
ERC Synergy Grants
Diese Forschungspreise fördern interdisziplinäre Forschungsprojekte etablierter Spitzenforschender, die die Grenzen des Wissens erweitern und von einer einzelnen Fachgruppe allein nicht adressiert werden können. Aus 395 eingereichten Anträgen in der aktuellen Antragsrunde wurden lediglich 37 Teams aus zwei bis vier Forschenden ausgewählt, die für sechs Jahre mit bis zu 10 Millionen Euro unterstützt werden.